Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich by Stella Bettermann

Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich by Stella Bettermann

Autor:Stella Bettermann
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Verlagsgruppe Luebbe GmbH Co KG
veröffentlicht: 2010-04-16T22:00:00+00:00


Mama in den Alpen

M eine Mutter hatte eine wunderschöne, bestens ausgebildete Singstimme. Eine Stimme, die bei Zuhörern Rührungstränen und Gänsehaut und Euphorie auslöste. Es ist ein echter Jammer, dass nur so wenige Menschen die Stimme meiner Mutter hörten, denn auf einer großen Bühne sang sie nie. Sie besaß einen Mezzosopran, beherrschte aber auch tiefe und ganz hohe Töne, deshalb gehörten auch anspruchsvolle alte Opern zu ihrem Repertoire. Außerdem besaß sie zwei Kinder und einen Ehemann. Das war wahrscheinlich das Problem: Mütter wurden damals nicht so leicht Opernstars (vielleicht ist das heute nicht anders).

Ihrer Gesangsausbildung hatte Mama ihr ganzes bisheriges Leben gewidmet. Ich war noch zu jung, um zu verstehen, wie hart es für sie gewesen sein mag, ihren Lebenstraum ad acta zu legen. Manchmal verzog sie sich an Sonntagnachmittagen noch in ihr Zimmer und hörte Opernplatten, und wenn ich mich zu ihr setzte, spielte sie mir die schönsten Passagen vor und sang mit. Auf mich machte sie immer den Eindruck, als habe sie vor, in ein paar Jahren mit dem Singen weiterzumachen. Doch das ergab sich nie.

Als Mama beschloss, keine Opernsängerin mehr zu sein, wurde sie noch deutscher. Sie wurde zur (fast) ganz normalen deutschen Mama: Sie nahm einen Halbtagsjob als Glasschadenssachbearbeiterin bei einem Versicherungskonzern an. Und sie meldete sich in einer Fahrschule an.

Deutschland befand sich damals noch im großen wirtschaftlichen Aufschwung, es war die Zeit, zu der sich Familien zum Erstwagen (dem großen, den der Ehemann fuhr) einen kleinen Zweitwagen für die Ehefrau leisteten. Als Mama in den Theoriestunden saß, war der Raum voll mit Frauen ihres Alters, die auch jetzt den Führerschein machten.

Meine Mutter konnte noch nicht einmal Fahrrad fahren; im Griechenland ihrer Jugend schickte sich das Radfahren für Mädchen aus gutem Hause nicht. Sie war nur einmal, als Halbwüchsige, auf ein geliehenes Rad gestiegen, damit eine Anhöhe hinuntergerast und in einen Graben gestürzt. Dass man nach rechts lenken muss, wenn ein Gefährt diese Richtung einschlagen soll, war ihr lediglich theoretisch klar – für sie war das kein Automatismus. Der Fahrlehrer muss schier an ihr verzweifelt sein, und es ist ein Wunder, dass sie den Führerschein überhaupt schaffte, beim dritten Anlauf. (Wenn wir Kinder später in ihrem lindgrünen VW-Käfer im Fond saßen, mussten wir mucksmäuschenstill sein, während Mama sich an das Lenkrad klammerte und Worte wie »Main Kott« oder »Värdammte Idiot« ausstieß.) Die übrigen Frauen, die mit ihr begonnen hatten, stellten sich allerdings auch nicht besser an, so dass viel Zeit blieb, sich untereinander kennen zu lernen. Als sie alle endlich ihren Schein hatten, waren sie Freundinnen geworden und Mama in einem nachbarschaftlichen Bekanntenkreis angekommen.

Für uns hatte das zur Folge, dass wir die Kinder der Fahrschulfreundinnen zu unseren Kindergeburtstagen einladen mussten. Was mich aus folgendem Grund störte: Diese Freundinnen hatten sonderbarerweise alle nur Jungs – ich war im Grundschulalter und wollte eigentlich nur Mädchen einladen. Aber meine Kindergeburtstage waren ohnehin anders als die der anderen: Sie waren etwas Besonderes und sonderbar zugleich.

Bei uns gab es nie selbst gebackene Kuchen zum Geburtstag (die gab es nur im Alltag), sondern aufwendige Torten, die Mama in der Residenzstraße in der Konditorei Café Hag kaufte.



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